Über mich

Es war kalt. Sehr kalt.
Kurz nach Weihnachten.
Ein Bilderbuchwinter.
Anfang der Siebziger.
Meine Mutter sollte sich schonen, sie war mit mir schwanger.
Organisierte einen Fernseher und machte es sich mit meinem Vater zu Hause gemütlich.
Im ZDF lief ein spannender Spielfilm mit Grethe Weiser.
Den hätten meine Eltern gerne zu Ende geguckt…aber: Ich wollte raus.
Hatte mich wohl ein bisschen verrechnet, ich war zwei Monate zu früh.
Da diese verfrühte Geburt prognostiziert wurde, war meine Mutter in der Uniklinik vorab angemeldet. Mein Vater holte das Auto.
Die circa 35km lange Fahrt zum Krankenhaus erwies sich als nicht einfach..,
die Windschutzscheibe des geliehenen VW-Käfers fror ständig zu.
Meine Mutter versuchte die Windschutzscheibe frei zu pusten und durch ihren Atem zu erwärmen, um meinem Vater-dem Fahrer!- etwas Sicht auf die Straßen zu ermöglichen.
Pusten statt in den Bauch atmen…Wischen statt Pressen.
Sie kamen in der Uniklinik  an.
Ich kam dann auch wirklich schnell auf diese Welt, so fix, dass meine Mutter keine Wahl mehr hatte…sie entband mich in einem nicht geheizten, in einem noch nicht fertig gebauten Kreißsaal und zog sich eine Nierenbeckenentzündung zu.
Ich hatte da als Frühchen mehr Glück und kam in einen gutgewärmten Inkubator.

Kränkelnd aber gut zufrieden, durchlief ich meine Kindheit mit Kickers-Schuhen und einem nie erfüllten Wunsch: Ein Bonanzafahrrad…
Gefühlt waren meine Geschwister, Freunde und ich und nur in der Natur unterwegs.
Spielten und lebten wie unsere Helden Tom Saywer und Huckleberry Finn, die Rote Zora, Fünf Freunde, Vorstadtkrokodile, Timm Thaler…. und das wahrscheinlich authentischer als alle Protagonisten in den entsprechenden Büchern.
Wir wohnten eine Zeitlang in Dülmen….bekannt auch für seine Wildpferde.
Diese gehörten- angeblich- alle dem dort lebendem Adel.
Irgendwann waren meine Eltern auf einem Ball eingeladen. Gastgeber: der Herzog.
Das war mir und meinem Bruder Tom sehr recht, und so ließen wir meine Eltern frohgemutes ziehen…natürlich mit dem Auftrag, wenigstens ein (!) Pferd mit zubringen.
Am nächsten Morgen suchten wir alles ab.
Garten. Keller. Garage. Nachbars Garten.
Nix. Kein Pferd.
Unsere Enttäuschung war riesig und stieg ins Unermessliche, als wir auch noch erfuhren, dass meine Mutter mit dem Herzog getanzt hatte.
Wir trösteten uns schnell und beschlossen- vereint wie nie zuvor-, dass alle Wildpferde, die auf einer nahenliegenden, riesigen Weide (kranke und Stuten mit ihren Fohlen) uns gehörten….

….ich war acht Jahre…und wahrscheinlich gehörte uns sowieso die ganze Welt…

Auf Grund des Berufes meines Vaters, und den dadurch bedingten Umzügen, verbrachte ich meine Schulzeit, und den ständig wiederholenden  Zeugnisbemerkungen: “ Martha nahm sehr unregelmäßig am Schulunterricht teil” oder ” Martha hatte überdurchschnittlich viele Krankheitstage”…..bis zum erweiterten Sekundär Abschluss II in sechs Schulen.
Danach zog ich nach Australien.
Besuchte die dortige High-School -Klasse 11 und ein bisschen die Klasse 12 ( 1. Semester).
Arbeitete und lebte auf einer Farm. Dort  kümmerte und pflegte ich verletzte und verwaiste Beuteltiere (Kängurus, Wallabys, Opossums, Sugarglider….) sowie Gnadenhoftiere, wie zum Beispiel Esel und Schafe, Graugänse und viele mehr…
Dann verließ ich Australien und zog nach Berlin.
Quantensprung was Natur und Population anbelangt. Das Gefühl der Enge blieb und nach drei Jahren und 14 Wochen zog ich weiter.
Von Berlin weg.
Mit einem Staatsexamen in der Tasche. Alle anderen Mitschüler/ Mitstudenten verließen die Bildungsstätte nach drei Jahren. Eigentlich wollte der Senat Berlin mir das Examen auf Grund meiner “ Krankfehltage” und der damit nicht erfüllten Praxisstunden nicht aushändigen. Glück für mich: Ich hatte ganze gute Noten in der Theorie und ich durfte die Fehlzeiten nacharbeiten.(14 Wochen!)

In den folgenden Jahren holte ich mein Abi am Abendgymnasium nach. Und studierte drei Semester Sozialpädagogik/Sozialarbeit…. …

Bis jetzt überlebte ich 39 Krankenhäuser.
Circa 27 Operationen (Aufbruch und “ das Flicken” von Sekundärnähten nicht mit berechnet)
Eine Reanimation.
Mehrere anaphylaktische Schocks und Unverträglichkeiten.

Wie viele stationäre und ambulante Tage ich in Krankenhäusern/ Arztpraxen verlebt habe?
Ich weiß es nicht. Und will es auch nicht wissen.

Ich lebe.
Jeden Tag.
So intensiv wie möglich…
Und das sehr, sehr gerne.

Mir ist bewusst, dass der Überlebenskrimi weitergeht…

Kann doch nicht so schwer sein, einfach wieder gesund zu werden, oder?

Martha Maschke